Im Schanzenviertel, im tiefsten Herzen der Millionenstadt Hamburg, besuchte
ich Oliver Wittchow, den Programmierer von Nanoloop, einem Softsynthesizer
und Step Sequencer für den Nintendo Gameboy.
von Thomas Finegan
Oliver Wittchow (28) ist Student an der Hamburger Hochschule für bildende
Künste. Sein Nanoloop entstand im Rahmen einer Vordiplomarbeit und ist jetzt
als Gameboy Cartridge für jeden Interessierten auf seiner Website
erhältlich. Mehr als das Nanoloop Cartridge ist nicht nötig um elektronische
Musik zu erzeugen. Nanoloop läuft auf jedem Gameboy Typ. Die Syntheseengine
verwendet u.a. einen Software Synthesizer mit Wavetable und FM, zwei
gleichzeitig spielbare, gegeneinander verstimmbare rechteckige Wellenformen
und Rauschen mit filterähnlichen Effekten (für z.b. Percussions). Der
Stepsequencer arbeitet konzeptionell ähnlich wie die TR-Drumcomputer mit
Lauflichtprogrammierung, wobei Oliver Wittchow beim Nanoloop natürlich
Rücksicht auf die limitierten Möglichkeiten des Gameboy nehmen mußte. Zwei
Gameboys mit Nanoloop können im übrigen miteinander synchronisiert werden. Mit
einer externen MIDI-Sync-Box ist auch die Synchronisation per MIDI möglich.
Die Box muß dann allerdings selbst gebastelt werden, Bauanleitung und
Teileliste liegen der Anleitung bei. Natürlich verfügt Nanoloop über eine
bpm-Anzeige, so daß sich Patterns und Sounds selbstverständlich auch
absamplen lassen. Am besten klingt Nanoloop, wenn der Gameboy per Preamp an
eine Hifi-Anlage (oder entsprechendes) angeschlossen wird. Nähere
Informationen u.a. zur verwendeten Syntheseengine und zum verwendeten Step
Sequencer Konzept sowie die Möglichkeit, ein Cartridge zu bestellen, findet
man auf der Nanoloop Homepage.
- Thomas Finegan (TF):
- Wie lange hast Du für die Entwicklung von Nanoloop gebraucht?
- Oliver Wittchow (OW):
- Alles in allem ca. 2 1/2 Jahre. Ich habe vorher noch nie
programmiert und meine ersten Schritte als Programmierer mit Gameboy-Basic
[Anm.: siehe www.nanoloop.de/links.html]
gemacht. Nach einem Ferien-Intensivkurs in C am Uni-Rechenzentrum habe ich
schließlich mit der Arbeit an Nanoloop begonnen.
- TF:
- Wow, heißt das Nanoloop ist komplett in C programmiert?
- OW:
- Ja, es ist zwar stellenweise sehr maschinenah, aber im großen und
ganzen ja.
- TF:
- Hast Du die Entwicklungstools von Nintendo?
- OW:
- Nein, der Gameboy C-Compiler ist ein inoffizielles Produkt, genauso wie der
Basic Interpreter. Es gibt eine große Gameboy-Fan-Gemeinde im Internet.
Sogar richtige Demos, wie früher auf dem Amiga oder Atari ST. Ich mußte mir
alle Dokumentationen zum Gameboy im Internet zusammensuchen.
- TF:
- Was ist mit einer Nintendo-Lizenz für den Nanoloop?
- OW:
- Ich denke es ist einfach zu klein und zu speziell, als daß sich Nintendo
überhaupt damit befassen würde - d.h. man ist weder an Lizenzvergabe
interessiert, noch werden gleich die Anwälte losgeschickt.
Nintendo macht mit dem Gameboy selbst kaum Gewinn, Konsolen werden oft sogar
subventioniert [Anm.: Kürzlich wurde übrigens der 100.000.000ste Gameboy verkauft.],
von daher verstehe ich das schon mit den Lizenzen. Das ist halt
das System in diesem Bereich. Ich wäre auch gerne bereit, Nanoloop zu
lizenzieren oder auch komplett zu verkaufen. Aber die Bedingungen, um
offizieller Gameboy Entwickler zu werden, sind für mich unerfüllbar und es
ist praktisch unmöglich mit Nintendo direkt Kontakt aufzunehmen, das läuft
alles über Dritthersteller.
- TF:
- Machst Du selbst Musik, ich meine, außer mit deinem Nanoloop?
Welches Equipment benutzt Du?
- OW:
- Ja, mache ich. Mein Lieblings-Werkzeug für Sampling und Sequencing ist immer
noch Fasttracker. Für Synthese benutze ich Software-Synths wie Generator
(jetzt Reaktor) und javOICe. Standard Sounds wie Bassdrums usw. nehme ich
von Sample-CDs. Andere Samples nehme ich vom Fernsehen auf, und manchmal
streue ich ganz leise Athmos ein, die ich mit meinem DAT aufgenommen habe.
Den Stil könnte man als Minimal House bezeichnen, manchmal auch als Ambient
oder Trip Hop. Ich mag Minimalismus sehr, aber bin nicht wirklich ein Lo-Fi
Fan. Fasttracker benutze ich, weil an ihn gewöhnt bin und für mich immer
noch der schnellste Weg ist, Samples zu arrangieren. Es hat nichts mit einem
"Demo Szene" Stil zu tun. Außerdem hat er einige Features, die andere
Programme nicht bieten, vor allem "Sample Offset" und das schnelle
"Instrument Remapping".
Manchmal treffe ich mich mit Freunden zum Musikmachen. Wir benutzen dann
zwei Computer auf denen Seq303 läuft, um Soundkarte und Generator
anzusteuern, einen QY-Drumcomputer [Anm.: Yamaha QY70] und ein Power Book
auf dem selbstgemachte Super-Collider Programme laufen. In Clubs sind wir
gelegentlich zu sehen und vielleicht werden wir auch noch eine CD
veröffentlichen - wenn wir die Zeit haben... Vielleicht stellen wir auch ein
paar MP3s auf eine neue Site.
- TF:
- Was ist JavOICe?
- OW:
- JavOICe ist ein additiver Software-Synthesizer, der als Java Applet läuft.
Es wurde von Peter Meijer (Phillips Research, Niederlande), entwickelt um
Bilder in Klänge umzuwandeln - als Orientierungshilfe für Blinde! JavOICe
ist nur das Web-Demo, die eigentliche Anwendung ist ein Windows Programm.
JavOICe bietet aber als zusätzliche Spielerei die M¨glichkeit, das Bild
direkt und in Echtzeit in ein Spektralfenster mit der Maus hineinzuzeichnen,
wodurch es zum Spektral-Synthesizer wird. Mich fasziniert die gleichzeitige
extreme Schlichtheit und Flexibilität. Wenn man es als Anwendung (mit JDK)
laufen läßt, kann man die Sounds auch mit 44 kHz speichern. Trotzdem ist
es halt ein Demo, viele Funktionen fehlen auch, aber es deutet an, was man
mit Software noch alles machen kann außer Drehregler emulieren.
[Anm.: JavOICe ist unter folgender URL zu finden:
http://ourworld.compuserve.com/homepages/Peter_Meijer/javoice.htm
]
- TF:
- Und was ist ein "Super-Collider" Programm?
- OW:
- Super Collider ist eine Sound-Programmiersprache für den Macintosh. Es ist
ein sehr ambitioniertes Projekt, man kann so ziemlich alles damit machen.
Ein Freund von mir, Julian Rohrhuber, hat zum Beispiel diesen
MIDI-sychronisierten, JavOICe-artigen Synthesizer programmiert, der
automatisch Spektralbilder mittels "zellulärer Automaten" und anderen AI /
AL Funktionen zeichnet, während man verschiedene Parameter in Echtzeit
variieren kann. Ein anderes Beispiel ist seine "Fahrstuhl-Installation" auf
der Jahresausstellung der Kunstakademie, bei der Fahrstuhl-Jazzmusik von
Algorithmen erzeugt wird, die wiederum über ein Web-Interface steuerbar
sind. Allerdings, haben die Leute sich immer so entspannt, daß sie sich
öfter versehentlich gegen den Alarmknopf lehnten. Daraufhin kam dann das
Technikerteam der Fahrstuhlfirma vorbei und als sie die vorgenommenen
Manipulationen sahen (Kabel in die Decke gelegt etc), schlossen sie
kurzerhand den Fahrstuhl für die Dauer der Jahresausstellung ab.
- TF:
- Würdest Du Dir eines Tages auch mal einen "richtigen" Synthesizer zulegen?
- OW:
- Ich habe nicht die Geduld, um mich durch Dutzende von Menüs mit kryptischen
Abkürzungen zu hangeln. So lange es keine wirklich neuen Konzepte von
Synthese/Interaktion gibt, sondern nur Hardware, die alte Hardware emuliert,
reicht mir Software - ich hätte nur gern kleinere Computer...
- TF:
- Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus?
- OW:
- Mobiltelefone sind meine Wahl für zukünftige Entwicklungen. Die Möglichkeit,
Audio, Daten und nicht zuletzt Geld per Funk zu verschicken, eröffnet völlig
neue Möglichkeiten der Anwendung und Distribution. Softwaremäßig bin ich an
additiver Synthese, Netzwerk und Automation interessiert. Eine zukünftige
Anwendung könnte also wie folgt aussehen: Ein serverbasiertes MP3-Synthesesystem, mit personalisierten Lern-Algorithmen, welche eine Spektralmatrix
(Synthesizer) permutieren zusammen mit einem Muster von vordefinierten
Samples (Sequencer). Gesteuert durch eine niedliches kleines WAP Interface.
Die Algorithmen könnten am Gerät editiert, gespeichert und mit anderen
Pokemon-mäßig ausgetauscht werden. Es gibt bereits Prototypen für
Handy-Musikdistribution in Japan, aber es wird wohl noch etwas dauern, bis
unser popeliges WAP sowas auch kann. Momentan sind solche Dinge technisch
noch nicht machbar, außerdem übersteigt es meine Fähigkeiten noch ein
wenig.
Dafür arbeite ich derzeit an einem Handy-Klingelton-Projekt, das
hoffentlich noch diesen Sommer online gehen kann. Das ist die einzige
momentan mögliche Sound-Anwendung für Handies und ich finde diese
flüchtigen und extrem reduzierten Töne auch ein hochinteressantes Thema.
- TF:
- Für Interessenten aus Deutschland ist dein Nanoloop ja bereits per Nachnahme
erhältlich. Wie sieht es mit Bestellungen aus dem Ausland aus?
- OW:
- Ich habe bereits ein Kreditkartensystem beantragt. Sobald es fertig
installiert und aktiviert ist, kann ich auch internationale Bestellungen per
Kreditkarte entgegennehmen.
- TF:
- Oliver, herzlichen Dank für dieses interessante Interview.
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